Vor einigen Jahren haben wir mit ein paar Freunden an einem Orientierungslehrgang für das Reiten im Gelände nach Karte teilgenommen. GPS- und Navigations-Apps gab es noch nicht bzw. waren noch nicht so verbreitet wie heute, sodass wir als Hilfsmittel nur einen Kompass und eine topografische Karte hatten. Nachdem alle wichtigen Grundlagen theoretisch besprochen und verstanden waren, markierte unser Kursleiter die geplante Route in unseren Karten und wir ritten los. In unserem Reitgebiet gab es unzählige Wege, Pfade und Kreuzungen: eingetragene und tatsächlich vorhandene, eingetragene aber nicht mehr vorhandene und vorhandene aber nicht eingetragene. Man konnte der Karte entnehmen, wie viele Meter man ungefähr auf einem Weg bleiben musste, wie viele Wege den Weg kreuzten oder von ihm abzweigten und wie in etwa die Landschaft beschaffen müsste (Höhenlinien, Wald, Wiesen, Bäche etc.).

Der Lehrgang dauerte eine Woche und es kam von Zeit zu Zeit vor, dass wir entweder unaufmerksam waren und abzweigende Wege verpassten oder übersahen, Kreuzungen verwechselten oder aus anderen Gründen die Orientierung verloren. Wir mussten stehen bleiben, den Kompass anlegen, Wege probeweise ein Stück entlang reiten, Bäche, Böschungen oder Berge suchen und das alles diskutieren, um dann doch irgendwann festzustellen: Wir haben überhaupt keine Ahnung mehr, wo auf der Karte wir uns befinden, und wir haben vor allem überhaupt keine Ahnung, in welche Richtung wir unseren Weg nun fortsetzen sollten, um entweder auf unsere eingezeichnete Route zu gelangen oder doch zumindest zurück zum Stall!

Waren wir erst einmal in eine solche Situation geraten, blieb uns nichts anderes übrig, als unseren Kursleiter um Hilfe zu bitten. Der warf einen kurzen Blick auf die Karte, legte seinen Kompass an, drehte sich vielleicht noch einmal in alle Himmelsrichtungen und zeigte uns dann exakt die Stelle, an der wir uns befanden. Selbstverständlich wusste er stets, wo wir uns als erstes verirrt hatten, sodass wir herausfinden konnten, welche Möglichkeiten es nun gab, unseren Weg fortzusetzen: Zurück auf die geplante Route, zurück zu der Stelle, wo wir uns verritten hatten, ein neues Ziel suchen, einem besonders schönen Weg folgen oder auf direktem Weg zurück zum Stall. Ohne seine Unterstützung würden wir vielleicht heute noch in irgendeinem Wald umherirren 🙂

Ich muss beim Coaching oft an diese Erfahrung denken, denn so ähnlich geht es unseren Kunden häufig: Sie befinden sich an einem Punkt auf ihrem Lebensweg, von dem sie gar nicht mehr wissen, wo genau er ist, wie sie dorthin gekommen sind und in welche Richtung es nun weitergehen soll.

Mit der Unterstützung der Pferde übernehmen Birte und ich die Rolle unseres Orientierungskursleiters. Wir helfen unserem Kunden, seinen Standort zu ermitteln, klären, wie er dorthin gelangt ist, an welcher Stelle er vielleicht eine Kreuzung oder einen Abzweig verpasst oder übersehen hat und vor allem, wie es von dort aus weiter gehen soll: Zurück zur geplanten Route? Zurück zu der Stelle, wo er sich „verirrt“ hat? Ein neues Ziel ansteuern? Oder zurück zum Ausgangspunkt und einen ganz neuen Weg probieren?

Unsere Erfahrung ist, dass, wenn man erst einmal wieder weiß, wo man steht und sich entsprechend orientieren kann, die Richtung, in die der nächste Schritt geht, eigentlich schnell klar ist. Man findet sich wieder zurecht auf seiner „Lebenskarte“ und fühlt sich wieder sicher, weil es nun ganz einfach ist, zu entscheiden, wie man weitergeht.